Abmahnung gegen Aldi wegen „klimaneutral“

31.05.2021

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n den Medien war in den letzten Tagen von Abmahnungen des Vereins „Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e.V.“ (Wettbewerbszentrale) gegen Unternehmen die Rede, die mit dem Begriff „klimaneutral“ werben – bezogen auf das gesamte Unternehmen, Teilbereiche davon oder einzelne Produkte. Gegen mehrere Unternehmen, darunter Aldi Süd, hat die „Wettbewerbszentrale“ Unterlassungsklagen eingereicht. Einige Unternehmen haben daraufhin Verpflichtungserklärungen gegenüber der „Wettbewerbszentrale“ abgegeben, die Gerichtsverfahren in den anderen Fällen sind alle noch offen. Wir beantworten hier die wichtigsten Fragen:

Wer ist die Wettbewerbszentrale?

Die Wettbewerbszentrale wurde 1912 als e.V. gegründet und ist nach eigenen Angaben die „die größte und einflussreichste Selbstkontrollinstitution für fairen Wettbewerb“. Getragen wird sie von mehr als 1.200 Unternehmen und über 800 Kammern und Verbänden der Wirtschaft. Sie finanziert sich allein aus den Beiträgen und erhält keine öffentlichen Mittel. Ihr Satzungszweck ist es, durch Rechtsforschung, Rechtsberatung, Information und Rechtsdurchsetzung den „lauteren Geschäftsverkehrs“ und einen „fairen wirtschaftlichen Wettbewerb“ zu fördern. Grundlage ihrer Klagen ist die Verbandsklagebefugnis.

Die Wettbewerbszentrale ist keine Behörde und kein Gericht. Sie kann wie jede andere private oder juristische Person Abmahnungen aussprechen, deren Rechtmäßigkeit bleibt aber im Streitfall den Gerichten vorbehalten.

Warum mahnt die Wettbewerbszentrale den Begriff „klimaneutral“ ab?

Die Kritik der „Wettbewerbszentrale“ richtet sich gegen Werbebotschaften wie: „erster klimaneutraler Lebensmitteleinzelhändler“, „wir handeln klimaneutral“ oder „klimaneutrales Premium-Heizöl“. Die „Wettbewerbszentrale“ hält diese Aussagen für irreführend beziehungsweise intransparent und unkonkret. Dadurch werde – so die „Wettbewerbszentrale“ – der Eindruck erweckt, dass die Klimaneutralität zu 100 Prozent durch emissionsvermeidende beziehungsweise emissionsreduzierende Maßnahmen erreicht werde, die das Unternehmen selbst und seine Produkte betreffen: etwa in den eigenen Produktionsprozessen, der Logistik oder dem Vertrieb. Dies sei aber – so die Kritik der „Wettbewerbszentrale“ – tatsächlich nicht der Fall, die Klimaneutralität stelle lediglich ein rechnerisches Ergebnis dar, das durch den Kauf von CO₂-Ausgleichszertifikaten erreicht werde. Darauf müsse in der Werbung explizit hingewiesen werden.

Was bedeutet der Begriff „klimaneutral“?

Eine gerichtlich festgestellte Definition von Klimaneutralität oder gar eine gesetzlich normierte Beschreibung gibt es bis heute nicht – wohl aber eine international im Zuge der internationalen Klimakonferenzen entstandene und anerkannte Definition: Demnach wird eine ausgeglichene CO2-Bilanz dann erreicht, wenn zunächst Einsparmaßnahmen durch das Unternehmen selbst in den von ihm verantworteten Prozessen durchgeführt werden. Betrachtet werden dabei die drei so genannten Scopes des Corporate Standards im Greenhouse Gas Protokoll. Dieser Bilanzierungs-Standard gilt weltweit einheitlich für Unternehmen.

Danach werden in einem zweiten Schritt verbleibende, nicht vermeidbare CO2-Emissionen im Rahmen von zertifizierten Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern ausgeglichen werden. Es kann sich um Projekte im Bereich erneuerbarer Energien ebenso handeln wie um landwirtschaftliche, ökologische oder soziale Projekte, die etwa Verhaltensänderungen zum Ziel haben. Wichtig ist, dass diese Projekte und die ihnen jeweils zugeschriebene CO2-Minderung von anerkannten Institutionen zertifiziert sind. Die beiden dafür gängigsten Standards dafür sind der Verified Carbon Standard und der Gold Standard. Beide erfüllen die vom Kyoto-Protokoll geforderten Kriterien und Auflagen. Durch Kauf und Stilllegung eines solchen CO2 Zertifikates ist die entsprechende Menge des Treibhausgases abschließend kompensiert. So kann mit jedem stillgelegten Zertifikat nur einmal die ausgewiesene Menge CO2 ausgeglichen werden. Für die Transparenz des Marktes sorgen Register, in denen die von Unternehmen erworbenen und stillgelegten Zertifikate für alle Interessierten transparent hinterlegt sind.

Der Ausgleich von Emissionen, die an einem Ort verursacht und an einem anderen Ort eingespart werden, sowie der Handel mit entsprechenden Emissionsrechten ist eines der wesentlichen Instrumente des Kyoto Protokolls und seiner Nachfolgeabkommen. Dahinter steckt die Intention der weltweiten Klimakonferenzen, wonach die „Verursacherländer“ des Klimawandels, also die Industrieländer, finanzielle Zahlungen an die Entwicklungsländer leisten sollten, die sich weniger gut an die Folgen der Erderwärmung anpassen können. Der Begriff „klimaneutral“ findet sich daher in dem hier beschriebenen Verständnis in allen Klimavereinbarungen und in der Folge bei allen damit befassten Institutionen wie der Europäischen Kommission, der Bundesregierung oder dem Umweltbundeamt.

Inhaltlich spiegelt der beschriebene Mechanismus schlicht die Tatsache wider, dass kein Unternehmen, kein Produkt und keine öffentliche Einrichtung klimaneutral – also aus sich selbst heraus CO2-frei sein kann, solange Energiegewinnung und Produktion noch zumindest zum Teil auf fossilen Trägern beruhen. Klimaneutralität müsste dann, wenn sie allein auf Aktivitäten des Unternehmens selbst bezogen werden, die Einstellung seiner Tätigkeit zur Folge haben.

Was ist dran an der Kritik der „Wettbewerbszentrale?

Die „Wettbewerbszentrale“ hat recht, wenn sie anmahnt, dass vor jeder Kompensation mögliche Einsparmaßnahmen getätigt werden sollen. Der Fokus muss auf Vermeidung und Verringerung liegen, nicht auf Kompensation unnötig hoher Emissionen. Hier dürfen es sich Unternehmen auch nicht zu leicht machen.

Aber: CO2-freie Produktion ist nicht möglich, solange die dafür benötige Energie oder Produkte auf der Basis von fossilen Trägern hergestellt werden. Genau deshalb ist die Kombination von Einsparmöglichkeiten und Zertifikaten der einzige Weg für Unternehmen, Klimaneutralität zu erreichen. Und der Kauf von Zertifikaten etablierter Standards ist das von der Politik etablierte Instrument dafür.

Ist für den Kunden die Entstehung der Klimaneutralität erkennbar?

Grundsätzlich ist Climate Extender der Auffassung, dass Verbraucher so viele Informationen wie möglich erhalten sollten, um sich eine kompetente Meinung über das Produkt zu bilden, das ihnen angeboten wird. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verlangt von Unternehmen, in der Werbung die wesentlichen Informationen transparent anzugeben, die der Verbraucher für eine informierte Entscheidung benötigt. Genau das ermöglicht Climate Extender seinen Kunden.

Anders als manchmal insinuiert scheint laut einer kürzlich erschienenen Studie von Utopia unter den Verbrauchern sehr wohl eine kompetente Einschätzung des Begriffs „klimaneutral“ vorhanden zu sein. Mehr als 64% der fast 4.000 befragten Personen geben an, dass sie beim Label „klimaneutral“ an Kompensation von Emissionen entlang des gesamten Lebenswegs der Produkte denken.

Zur Studie

Was können Unternehmen (besser) machen?

Footprints erfassen

In einer Welt, die dem Klimawandel den Kampf ansagt, ist es für Unternehmen unabdingbar, dass sie zumindest eine Bilanz ihres Handels aufstellen nach den anerkannten Standards des Greenhouse Gas Protocols.

Transparent informieren

Als zweiten Schritt sollten Unternehmen so authentisch wie möglich ihren Status Quo und ihre Bemühungen um Redaktion sowie um Kompensation transparent kommunizieren.

Eigene Geschichten erzählen

Jedes Unternehmen hat seinen eigenen Ansatz. Ihn gilt es herauszuarbeiten und genau daraus die Klimastrategie sowie ihre Ableitungen zu definieren.Genau hier lauern auch Gefahren für Unternehmen, wenn sie mit Klimaneutralität werben wollen. In den Medien war zuletzt von Abmahnungen gegen Unternehmen die Rede, die mit dem Begriff „klimaneutral“ werben – bezogen auf das gesamte Unternehmen, Teilbereiche davon oder einzelne Produkte. Gegen mehrere Unternehmen, darunter Aldi Süd, hat die „Wettbewerbszentrale“ Unterlassungsklagen eingereicht. Einige Unternehmen haben daraufhin Verpflichtungserklärungen gegenüber abgegeben, die Gerichtsverfahren in den anderen Fällen sind alle noch offen. Die Kritik richtet sich gegen Werbebotschaften wie: „erster klimaneutraler Lebensmitteleinzelhändler“, „wir handeln klimaneutral“ oder „klimaneutrales Premium-Heizöl“. Die „Wettbewerbszentrale“ hält diese Aussagen für irreführend beziehungsweise intransparent und unkonkret. Dadurch werde der Eindruck erweckt, dass die Klimaneutralität zu 100 Prozent durch emissionsvermeidende beziehungsweise emissionsreduzierende Maßnahmen erreicht werde, die das Unternehmen selbst und seine Produkte betreffen: etwa in den eigenen Produktionsprozessen, der Logistik oder dem Vertrieb. Dies sei aber – so die Kritik – tatsächlich nicht der Fall, die Klimaneutralität stelle lediglich ein rechnerisches Ergebnis dar, das durch den Kauf von CO₂-Ausgleichszertifikaten erreicht werde. Darauf müsse in der Werbung explizit hingewiesen werden.

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Aldi Süd Pressestelle