Was hat es mit den Abmahnungen wegen der Bezeichnung „klimaneutral“ auf sich?

26.05.2021

In den Medien war zuletzt von Abmahnungen gegen Unternehmen die Rede, die mit dem Begriff „klimaneutral“ werben – bezogen auf das gesamte Unternehmen, Teilbereiche davon oder einzelne Produkte. Gegen mehrere Unternehmen, darunter Aldi Süd, hat die „Wettbewerbszentrale“ Unterlassungsklagen eingereicht. Einige Unternehmen haben daraufhin Verpflichtungserklärungen gegenüber abgegeben, die Gerichtsverfahren in den anderen Fällen sind alle noch offen.

Die Kritik richtet sich gegen Werbebotschaften wie: „erster klimaneutraler Lebensmitteleinzelhändler“, „wir handeln klimaneutral“ oder „klimaneutrales Premium-Heizöl“. Die „Wettbewerbszentrale“ hält diese Aussagen für irreführend beziehungsweise intransparent und unkonkret. Dadurch werde der Eindruck erweckt, dass die Klimaneutralität zu 100 Prozent durch emissionsvermeidende beziehungsweise emissionsreduzierende Maßnahmen erreicht werde, die das Unternehmen selbst und seine Produkte betreffen: etwa in den eigenen Produktionsprozessen, der Logistik oder dem Vertrieb. Dies sei aber – so die Kritik – tatsächlich nicht der Fall, die Klimaneutralität stelle lediglich ein rechnerisches Ergebnis dar, das durch den Kauf von CO₂-Ausgleichszertifikaten erreicht werde. Darauf müsse in der Werbung explizit hingewiesen werden.

Diese Kritik erscheint zunächst inhaltlich und formal unberechtigt. Denn eine gerichtlich festgestellte Definition von Klimaneutralität oder gar eine gesetzlich normierte Beschreibung gibt es bis heute nicht – wohl aber eine international im Zuge der internationalen Klimakonferenzen entstandene und anerkannte Definition: Demnach wird – wie oben dargestellt – eine ausgeglichene CO2-Bilanz dann erreicht, wenn zunächst Einsparmaßnahmen durch das Unternehmen selbst in den von ihm verantworteten Prozessen durchgeführt werden.

Betrachtet werden dabei die drei so genannten Scopes des Corporate Standards im Greenhouse Gas Protokoll. Dieser Bilanzierungs-Standard gilt weltweit einheitlich für Unternehmen. Danach werden in einem zweiten Schritt verbleibende, nicht vermeidbare CO2-Emissionen im Rahmen von zertifizierten Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern ausgeglichen. Dahinter steckt die Intention der weltweiten Klimakonferenzen, wonach die „Verursacherländer“ des Klimawandels, also die Industrieländer, finanzielle Zahlungen an die Entwicklungsländer leisten sollten, die sich weniger gut an die Folgen der Erderwärmung anpassen können.

Der Begriff „klimaneutral“ findet sich daher in dem hier beschriebenen Verständnis in allen Klimavereinbarungen und in der Folge bei allen damit befassten Institutionen wie der Europäischen Kommission, der Bundesregierung oder dem Umweltbundeamt. Inhaltlich spiegelt der beschriebene Mechanismus schlicht die Tatsache wider, dass kein Unternehmen, kein Produkt und keine öffentliche Einrichtung klimaneutral – also aus sich selbst heraus CO2-frei sein kann, solange Energiegewinnung und Produktion noch zumindest zum Teil auf fossilen Trägern beruhen. Klimaneutralität müsste dann, wenn sie allein auf Aktivitäten des Unternehmens selbst bezogen werden, die Einstellung seiner Tätigkeit zur Folge haben.

Dennoch zeigen die Abmahnversuche und die Resonanz, die sie in den Medien gefunden haben, einen Trend in der Wahrnehmung von Klimabilanzen für Produkte oder Unternehmen. Die „Wettbewerbszentrale“ hat recht, wenn sie anmahnt, dass vor jeder Kompensation mögliche Einsparmaßnahmen getätigt werden sollen. Der Fokus muss auf Vermeidung und Verringerung liegen, nicht auf Kompensation unnötig hoher Emissionen. Hier dürfen es sich Unternehmen auch nicht zu leicht machen, auch wenn Kompensation in Entwicklungsländern häufig wesentlich billiger ist als Einsparmaßnahmen durch das Unternehmen selbst. Je transparenter die Aktivitäten des Unternehmens sind, je größer die eigenen Anstrengungen und je authentischer der Bezug der Kompensationsprojekte zum eigenen Geschäft, desto glaubwürdiger wird die Klima-Story von Unternehmen. Genau darauf kommt es gerade vor dem Hintergrund von solchen Diskussionen an.

Stand: 26.5.2021

gh