Kommentar: Fluch und Segen
Von Gerd Henghuber
Wer einmal die Excel-Tabelle mit der Auflistung aller Datenpunkte geöffnet hat, die der neue europaweite Berichterstattungsstandard ESRS für jene Unternehmen vorsieht, die der CSRD unterliegen, erschrickt: 1.178 verschiedene qualitative und quantitative Informationen, in fürchterlichem EU-Englisch formuliert, viele davon redundant, einige widersprüchlich, manche unsinnig. Sicher: die Unternehmen sollen nur die Daten zu jenen Themen liefern, die sie auch als wesentlich definiert haben. Doch auch diese sogenannte „doppelte Wesentlichkeitsanalyse“ gleicht einem akademischen Hochseilakt. Von wegen pi mal Daumen! Objektivierbar müssen Unternehmen darlegen, wieso sie für ihr Geschäftsmodell etwa den Klimawandel als wesentlich einschätzen, Umweltverschmutzung und Kreislaufwirtschaft aber nicht. Wer da nicht das Glück hat, dass sich ein umtriebiger Verband um branchenweite Standards und Muster bemüht hat, steht rasch vor der Frage: sind 5.000 Tonnen Restmüll zur thermischen Verwertung im Jahr nun als wesentlich einzuschätzen oder nicht? Und darüber schwebt der Wirtschaftsprüfer, für den diese Entscheidung am Ende nachvollziehbar sein muss, damit er ihr sein Siegel aufdrückt.
Nun, die doppelte Wesentlichkeitsanalyse bleibt auch nach den nun vorgeschlagenen Änderungen und auch die Wirtschaftsprüferpflicht, wenn auch auf der niedrigeren Stufe „begrenzter Sicherheit“. Dafür soll ein großer Teil der 1.178 Datenpunkte entfallen und vor allem: rund 80 Prozent der zunächst als „groß“ und damit berichtspflichtig eingestuften Unternehmen werden wohl aus der Berichtspflicht fallen. Sie können erst einmal durchatmen. Allerdings ist ihnen zu raten, dass sie sich in den nächsten zwei Jahren, bis das europäische Berichtssystem nun beginnen dürfte, mit dem angekündigten niederschwelligen und freiwilligen Standard für kleine und mittlere Unternehmen befassen. Denn es ist alles andere als unwahrscheinlich, dass der ein oder andere Kunde, der selbst nach der CSRD berichtspflichtig ist, in den nächsten Jahren bei seinem Lieferanten anklopfen wird. Und eines muss man dem CSRD-System lassen: wer sich einmal in die Logik der Standards eingefunden hat, erkennt, dass deren Ziel klar auf faktischer Objektivierbarkeit und Vergleichbarkeit ausgerichtet ist. Die Zeit der in Nachhaltigkeitsberichten lyrisch beschriebenen Obstkörbe für Mitarbeiter dürfte damit vorbei sein. Und wenn die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen für ein Unternehmen erst einmal feststehen, dann sollte es auch von sich aus ein Interesse daran haben, die erforderlichen Informationen darüber bereitzuhalten und zu kommunizieren. Denn am Ende sind es ja nicht Beamte der EU, die sich für die Nachhaltigkeit eines Unternehmens interessieren, sondern es sind seine Kunden, Mitarbeiter, Bewerber, Öffentlichkeit.
Lesen Sie zu dem Thema auch:
CSRD: EU plant deutliche Vereinfachung der Berichtspflichten
CSRD Änderungen: Was gilt jetzt rechtlich für Unternehmen, Frau Anzeletti?
CSRD: 10 Tipps wie Unternehmen vorgehen sollten